Kennen Sie
den Staatsschuldenstand der japanischen Volkswirtschaft?
Für das Jahr
2013 wird ein Stand von über 240% des BSP prognostiziert. Damit ist Japan das
höchst verschuldete Land der Welt. Kein anderes Land auf der Welt hat gemessen
an seiner jährlichen Leistungskraft so hohe Staatsschulden.
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Quelle: IMF "Fiscal Monitor", April 2012 |
Wenn man den
japanischen Schuldenstand mit dem griechischen (171%), italienischen (124%)
oder dem spanischen (84%) vergleicht, so werden besonders Stimmen aus dem keynesianischen
Lager hörbar, welche versuchen den Schuldenstand von z.B. Griechenland zu
relativieren, indem sie auf die Kennzahl von Japan hinweisen und die sogenannte
Sparpolitik in Frage stellen, nach dem Motto: "Da geht noch was".
Besonders in
Blogs die politisch "Links" verortet sind und Beiträge um das Thema
Staatsschulden schreiben, sind immer wieder Stimme hörbar, die mit dem Hinweis
auf den hohen Staats-Schuldenstand in Japan zu Verschwörungstheorien neigen.
Sie können sich z.B. nicht erklären, wie es z.B. für Italien mit einer Schuldenquote
von 124% auf einmal schwerer sein sollte, sich Geld auf den internationalen
Kapitalmärkten zu leihen, obwohl Japan fast eine doppelte so hohe
Staatsverschuldungsquote hat. "Die Märkte haben sich gegen die Staaten
verschworen", so die meisten Linksökonomen, die schon von Natur aus dazu
tendieren, in Schulden kein Problem sehen zu wollen und immer wieder gerne auf
den Schuldenstand in Japan hinweisen. Und einer davon ist der Ökonom und
Honorarprofessor Heiner Flassbeck, dessen Thesen von vielen linken Bloggern
unkritisch übernommen wird.
In einem
bemerkenswerten Kommentar in der Badischen Zeitung ließ sich Herr
Flassbeck dazu hinreißen, jeden der an eine "Schuldenkrise" glaubt
als "Dummkopf" zu betiteln. Es könne sich gar nicht um eine
Staatsschuldenkrise handeln, da Japan die höchsten Staatsschulden habe und das
bei zeitgleich niedrigen japanischen Zinsen. Es gibt somit keine Schuldenkrise,
es handelt sich lediglich um ein "Finanzierungsproblem", so
Flassbeck's euphemistische Lesart. Dass dieses Finanzierungsproblem seine
Ursachen grade in den zu hohen Staatsschulden hat, passt nicht in die
ideologische Welt des Herrn Flassbeck und seiner eher linken Anhängerschaft.
Aber in der
Tat, schaut man sich als unbefangener Leser die Staatsschuldenquoten an, ist
die Frage sehr berechtigt: Warum hat Japan mit 240% keine Finanzierungsproblem,
während Griechenland mit 171% keine zahlungsbereiten Gläubiger findet?
Und obwohl Griechenland eine niedrigere Staatsschuldenquote als Japan hat, muss
Griechenland für seine 10jährigen Schulden 11%, Japan aber nur knappe 0,7%
zahlen. Der griechische Staat muss also mehr als 10%-Punkte mehr für seine
Schulden zahlen als der japanische.
Oberflächlich
betrachtet scheint Flassbeck Recht zu haben, denn zwischen Staatsschuldenquote
und Risikoaufschlag gibt es auf den ersten Blick keinen Zusammenhang, also
haben die hohen Zinsforderungen gegenüber dem griechischen Staat mit der
Staatsschuldenquote und somit mit den Schulden nichts zu tun. Und wer das nicht
versteht, ist ein Dummkopf.
It's the Schuldendienstdeckungsgrad, stupid!
Die
Dummköpfe können aber aufatmen, Herr Flassbeck's Logik hat nämlich einen
gewaltigen Haken: Die Kennzahl der Staatschuldenquote spielt bei der
Beurteilung der Kreditgeber über die Bonität eines Staates eine unbedeutende
Rolle. Überlegen Sie mal selber: Würden Sie Ihr eigenes Geld eher in
Griechenland als in Japan stecken nur weil es eine geringere
Staatsschuldenquote hat? Würden Sie bei Ihrer Investitionsentscheidung nur eine
Kennzahl nutzen? Sie sind doch kein Dummkopf!
Die
akademische Welt hat sich natürlich auch der Frage gewidmet, was die
ausschlaggebenden Faktoren bei der Risikobewertungen von Staatsanleihen sind.
Es gibt unzählige Literatur darüber die versucht die verschiedenen Variablen
der Zinshöhe bei Staatsanleihen zu erklären. Ergebnis: Nicht die
Staatsschuldenquote ist wichtig, sondern viel eher der
Schuldendienstdeckungsgrad.[1]
Man braucht
aber nicht in akademischen Schriften zu stöbern um rauszufinden, warum und wie
die Vermögensverwalter entscheiden, man kann ja auch ein Blick über deren
Schulter werfen. Warum also den akademischen Esel fragen wenn der praktizierende Bauer daneben steht?
Wenn Vermögensverwalter wie z.B. Pensionsfonds Staatsschulden kaufen wollen, dann interessieren sie sich für das Einkommen des Staates. Diese Einnahmen müssen den Schuldendienst des Staates finanzieren können. Bedient werden müssen neben den Zinsen, die fällig werdenden Anleihen und das aktuelle Defizit. Es ist naheliegend, je weniger ein Staat für sein Schuldendienst aufwenden muss, desto höher ist seine Bonität und desto bereiter ist man diesem Staat auch Geld zu leihen. Während Japan in den letzten Jahren ca 19% - 24% seiner Einnahmen für den Schuldendienst brauchte, lag er bei Griechenland zwischen 31% - 35%. Japan hat wegen den noch niedrigen Zinsen einen geringeren Schuldendienst zu schultern was in solventer gegenüber Griechenland erscheinen lässt. Aber Vorsicht ist dennoch angebracht: Japans gesamte Schuldenlast über aller Laufzeiten beträgt etwa 0,80%. Wenn wir den japanischen Schuldendienst mit 25% annehmen, dann muss Japan bei einem Zinssatz von etwa 3,2 % (=0,80% *4) seine gesamtes Einkommen für den Schuldendienst aufwenden. Japan wäre in sehr ernsten Schwierigkeiten und das bei nur knapp über 3% Zinsen.
Der Kennzahlen-Mix macht es
Jeder
Kennzahl ist eindimensional. Deswegen ist es wichtig ein Bündel von Zahlen zu
haben um sich ein plastisches Bild über die finanzielle Situation eines Staates
verschaffen zu können. Während der Schuldendienstdeckungsgrad etwas über die
Bonität des Schuldner aussagen kann, zeigt die Staatsschuldenqoute die
Sensibilität auf Zinsveränderungen an. Anleihekäufer benutzen daher in ihren Modellen eine
Vielzahl von Kennzahlen um die Bonität von Staaten zu
evaluieren. Dabei wird auch oft in Szenarien gedacht. So gibt es z.B.
Vermögensverwalter, die auch die Schulden von Banken in den jeweiligen Ländern
mit in ihre Modellrechnungen übernehmen, wenn sie davon ausgehen, dass der Staat
die Banken im Notfall retten wird. Auch auf die Handelsbilanz einer
Volkswirtschaft wird ein prüfendes Auge geworfen. Ein Land mit einem
Exportüberschuss wie Japan hat eine bessere Bonität als ein Land mit einem
Handelsbilanzdefizit wie Griechenland, weil Geld aus den Exporterlösen in die
Volkswirtschaft hineinfließt, während
Griechenland die Importe mit weiteren Krediten finanzieren muss weil die Exporterlöse zu
gering sind.
Sehr
bedeutend ist die Gläubigerstruktur. Der japanische Staat ist vorwiegend bei
seiner eigenen Bevölkerung verschuldet, welche eine Sparquote von über 15%
aufweist. Griechenland hingegen hat sich bei französischen und deutschen
Banken, also im Ausland verschuldet. Während also bei einer möglichen Krise das
Kapital in Japan bleibt, flieht es bei einer Krise aus Griechenland und
verschlimmert die Situation noch weiter. Ausländische Schuldner wirken wie ein
Krisen- Katalysator.
Was aber
Japan trotz hoher Staatsschuldenquote ausmacht: Es ist einer der grössten
Gläubiger der Welt:
Japan ist
zwar ein großer Schuldner, aber auch ein noch größerer Gläubiger. Würde Japan
alle seine Schulden mit seinen Forderungen aufrechnen blieben ca 54% des
japanischen Bruttosozialprodukts übrig. Japan hält z.B. US-Anleihen im Wert
von über 1,3 Billionen US-Dollar und ist somit neben China der zweitgrößte
ausländische Gläubiger der USA. Japan konnte nämlich dank seines über jahrzehntelang positiven Handelsbilanz Ersparnisse bilden und
ausleihen. Griechenland ist dagegen mit -134% faktisch Bankrott.
Während Griechenland netto keine Auslandsforderungen aufweisen kann, kann Japan
zur Bedienung seiner Schulden gemütlich zuerst seine Auslandsforderungen nutzen. Alleine an
dieser Tatsache kann man sehen, wie irreführend die alleinige Nutzung der
Staatsschuldenquote ist und wie grotesk Herr Flassbeck's Behauptung ist, Griechenland
hätte kein Schuldenproblem.
Ein Blick in
die Vergangenheit zeigt auch wie wenig vertrauenswürdig Staaten sind, wenn es
um die Veröffentlichung der Staatsschuldenquote geht. Die Schönung der Kennzahlen
von Italien und Griechenland um in die Währungsunion zu kommen ist ein
trauriger Beweis dafür. So gab Argentinien für das Jahr 2000 eine
Staatsschuldenquote von 45% an, die Zahl lag somit unter den 60% der Maastricht-Kriterien. Ende 2001 war Argentinien bankrott.
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Quellenangaben:
[1] OECD Economic Surveys: Greece 2007, Issue 5, S.65 f.
Das ist ja genau das, was Flassbeck sagt. Die Staatsschuldenhöhe ist unerheblich für die Bonität des Schuldners, Stattdessen ist die zukünftige Finanzierung die offene Frage. Im Falle der Südperipherieländer ist dies zum Problem geworden, da diese große Handelsbilanzdefizite aufgrund divergierender Preisniveaus innerhalb der Eurozone hinnehmen mussten. Auch gibt es so etwas wie “self-fullfilling prophecies“ womit schlechte Bonitätserwartungen eine schlechte Bonität durch höhere Zinsen zur Folge haben können. In summa summarum bedeutet dies, dass die Staatsschuldenkrise im Wesentlichen aus den Leistungsbilanzungleichgewichten resultiert. Im Falle Japans ist dies genau umgekehrt: Es hat(te) jahrelange Leistungsbilanzüberschüsse. Außerdem hat Japan eine Staatsfinanzierende Notenbank, womit die Bonität gedeckt ist. Dies bedeutet, dass Flassbecks Schlussfolgerung völlig richtig ist, nämlich, dass die Staatsschuldenkrise nichts mit schlecht wirtschaftenden Griechen zu tun hat, sondern auf konzeptionelle Ausgestaltung der Eurozone zurück zu führen ist.
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